„Für mich waren das zwei Semester Krisenbewältigung! Den Abschluss möchte ich auch haben!”
Walid El Sheikh – Inhaber des „Sir Walter”, der „Elephant Bar”, „Boston Bar” und der Bar „Oh Baby Anna” im Interview.
Wir haben mit dem Düsseldorfer Gastronomen über die aktuelle Situation und mögliche Entwicklungen in der Zukunft gesprochen. Wie er es schafft, so positiv zu bleiben, wie seine Haltung zu der aktuellen Situation ist, wie gut er sich um das Wohlbefinden seiner MitarbeiterInnen und Gäste kümmert und worauf wir uns in den nächsten Monaten freuen dürfen, verrät er uns in diesem Interview.
„Gastronomische Poesie“, wie das Team von Mrduesseldorf ein Gespräch mit ihm betitelt, bringt es auf den Punkt. Es wird auf jeden Fall deutlich, wie viel Herzblut Walid in seine Projekte steckt und woher sein Erfolg kommt.
Wir möchten heute vor allem einen positiven Ausblick auf die kommenden Zeiten wagen, denn die aktuelle Situation lässt sich nur mit einer gewaltigen Ladung an „positiven Vibes“ aushalten, oder?
„Ich bin die negativen Nachrichten langsam tatsächlich leid. Ich versuche, bei meiner ganzen Arbeit seit Beginn der Krise eine positive Haltung zu bewahren. Die Zuversicht auf gute Zeiten gibt mir die Kraft für die schlechten Zeiten. Ich nutze diese Phase auch für mich selbst, zur Selbstreflexion. Meine Projekte sind keine One-Man-Show. Eine ganze Menge hervorragender MitarbeiterInnen steckt dahinter. Sie unterstützen mich und bewältigen teilweise ganze Aufgabenfelder alleine, ohne dass ich darauf schauen muss. Deswegen muss ich sagen: Die Größe eines Unternehmens führt dazu, dass man Personal einstellen kann und die Arbeit auf viele Schultern verteilt wird, die einem den Arbeitsalltag erleichtern. Auch das stimmt mich positiv.“
Besteht dein Tagesablauf aktuell eher aus Ablenkungen oder aus der Arbeit an neuen Projekten?
„Mein Tagesablauf sieht aktuell wie folgt aus: Ein paar Stunden am Morgen kümmere ich mich um das Tagesgeschäft, also das, was am Vortag angefallen ist. Sozusagen die To-Do‘s im Büro. Im Anschluss widme ich mich dann den neuen Projekten. Das beinhaltet den Besuch der Baustellen, das Gespräch mit Gewerken, Baufirmen und Angestellten und die Beobachtung der Fortschritte. Oft unterbreche ich meine Arbeit um 15 oder 17 Uhr, um etwas Sport zu treiben. Das ist ein großer Teil meiner täglichen Routine, um neue Energie zu schöpfen. Danach gehe ich meistens entweder in eines der – offenen – Geschäfte, ins Büro oder auf eine Baustelle. Je nachdem, wo ich am meisten gebraucht werde.“
Es klingt, als ob es trotzdem nicht langweilig wird, oder?
„Das, was man am Ende bzw. am Abend sieht, ist meistens das Resultat aus jeder Menge Vorarbeit. Und die Arbeit muss halt tagsüber erledigt werden, ob Lockdown oder nicht. Wenn wir geöffnet haben, muss ich am Abend vor Ort sein, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, was benötigt wird. Im Augenblick sind wir sehr expansiv unterwegs. In den letzten Jahren hatten wir unentwegt neue Projekte oder Baustellen, die wir angehen mussten. Mein Ziel ist es immer, den Transfer zu schaffen aus dem Erlebten und der Kommunikation mit den Gästen und den Bedürfnissen der Stadt. Das übersetze ich dann mit meinen Empfindungen und Gefühlen und suche nach einem Ort, an dem ich das zusammenbringen und umsetzen kann. Dann kann es losgehen.“
Also dein Ansatz ist es, den Zeitgeist zu treffen und Bedürfnisse zu erkennen? Erst dann folgt der monetäre Aspekt?
„Zeitgeist ist zwar wichtig, aber auch nicht entscheidend. Der Zeitgeist bildet etwas ab, was in den Köpfen der meisten schon umherschwirrt. Das führt zu einer Art copy & paste, da es etwas ist, was man schon gesehen hat. Wir versuchen ein kollektives Bedürfnis zu erspüren. Die Gesellschaft spürt oft erst, dass etwas gebraucht wird, wenn es da ist. Wenn ich meine Projekte dann nach diesen Prinzipen umsetze, „matcht” es mit den Bedürfnissen der Menschen. Wir erschaffen ein neues Genre. Wenn man emphatisch ist, sich offen bewegt und viel kommuniziert, hilft das, diese Bedürfnisse zu erspüren. Am Ende des Tages habe ich für die Gruppe entschieden, dass wir keinem Trend folgen, sondern lieber Trends setzen.“
Lass uns ein paar Monate zurückschauen: Ihr hattet im Juli wieder geöffnet, richtig?
„Richtig. Wir haben nach dem ersten Lockdown – in Abstimmung mit dem Ordnungsamt und unter Einhaltung der Hygieneregeln – wieder geöffnet. Natürlich sind wir das Ganze vernünftig angegangen und haben nicht direkt Vollgas gegeben. Das heißt, wir sind mit der Elephant Bar gestartet, um zu erfühlen, wie es angenommen wird und wie sich die neue Situation bewährt. Dort haben wir die zwei Wochen genutzt, um die neuen Herausforderungen zu erforschen. Wir haben geschaut, wie die Gäste sich fühlen aber natürlich auch, ob es rentabel ist. Also: reduzieren wir die Kosten oder zahlen wir drauf? ‘ Als wir dann erkannt haben, dass sich die Situation gut entwickelt, haben wir nach zwei Wochen auch das Sir Walter wieder eröffnet.“
Und dann?
„Der Ansturm war gewaltig! Trotz der Situation hatten wir ewig lange Schlangen. Es war schön zu sehen, aber auch eine Herausforderung. Auch emotional. Wir mussten oft das unterbinden, was das Sir Walter ausmacht. Es musste Abstand gehalten werden, es durfte nicht getanzt werden und auf bestimmten Wegen mussten Masken getragen werden. Das ist natürlich sehr schade. Das war eine emotionale Herausforderung, weil unser Konzept natürlich etwas anderes hergibt. Tatsächlich war es aber so, dass die Gesellschaft sich nach einer gewissen Skepsis damit arrangieren konnte. Es hat ca. 14 Tage gedauert, bis alle begriffen haben, dass dies die “neue Realität” ist und unser Angebot das Maximum an dem ist, was die Gastronomie gerade hergeben kann. Mir hat das aber das Herz gebrochen. Wenn ich in den Laden gegangen bin, hat mir genau das gefehlt, was ich jahrelang aufgebaut habe. Aber insgesamt hat es uns und den Mitarbeitern wirtschaftlich gutgetan. Die Mitarbeiter hatten endlich wieder eine Aufgabe, bekamen ihr Gehalt, Trinkgeld und fühlten sich gebraucht. Das hat uns nach dem ersten Lockdown noch einmal Zuversicht gegeben, und noch etwas Geld in die Kasse gespült, so dass wir die Grundkosten decken konnten.“
Und die Stimmung der Gäste?
„Die meisten haben es akzeptiert. Einige wenige wollten natürlich ausbrechen. Auch dafür haben wir absolutes Verständnis. Allerdings gelten wir als Opinion Leader und hatten das Vertrauen der Stadt Düsseldorf und der Polizei. Das wollten wir auch nicht missbrauchen. Keine Skandale! Wir wollten keine Regeln brechen, sonst würden andere Betriebe nachziehen. Aber nichtsdestotrotz hat das geklappt und es war eine gute Zeit für die Gäste. Das ist die Hauptsache.“
Deine Mitarbeiter kennt man als glückliche, zufriedene und freundliche Mitarbeiter, mit viel Freude bei der Arbeit. Das hat sicherlich auch viel mit dir als Führungsperson zu tun. Doch auch die müssen nun schauen, was passiert. Wie planen deine Mitarbeiter aktuell?
„Im Augenblick sitzen meine MitarbeiterInnen im Lockdown, denn sie haben Berufsverbot und müssen sich daher selbst beschäftigen. Es ist für sie wirklich hart, da sie sich entwertet fühlen. Die Politik sagt mit anderen Worten: “Auf euch können wir verzichten!” Wir sind demnach nicht nur geschlossen, sondern uns wird ständig suggeriert, dass man auf das Tanzen verzichten kann und es sich nur um einen Luxus handelt, der nicht gebraucht wird. So etwas zu hören, macht etwas mit einem. Von Traurigkeit bis hin zur Wut. Und man stellt sich selbst in Frage. Aber es liegt an mir, meinen MitarbeiterInnen dieses negative Gefühl zu nehmen. Das mache ich dann entweder mit einer WhatsApp-Nachricht oder einem Video, indem ich zu der Gruppe spreche und kommuniziere, wie wichtig sie wirklich sind, wie sehr die Gesellschaft sie vermisst und dass unsere Branche essenziell für die Menschheit ist. Das Miteinander ist ein Grundbedürfnis. Wir sind die Kultur der Stadt. Wir sind der Ort der Begegnungen. Wir werden besucht, wenn Menschen aus New York, London oder Mailand kommen. Wir sind die mit der Gastfreundschaft, die das Image einer Nation prägen. Der kulturelle Wert, den die Gastronomie ausmacht, sollte öfter angesprochen werden. Es ist nämlich nicht nur das Oktoberfest, was Deutschland ausmacht! Meine Arbeit besteht darin, den Leuten den Wert mitzugeben und ihnen zu sagen, dass sie wichtig sind. Nicht nur für mich oder das Unternehmen, sondern für eine ganze Gesellschaft. Das ist ein harter Job.
Es ist schwierig, bei den ganzen Regelungen, die über’s Knie gebrochen wurden und manchmal nicht ganz logisch erscheinen, anderen Mut zuzusprechen. Was macht einen Bänker wertvoller als einen Gastronomen? Es ist nicht immer zu Ende gedacht. Mein reiner Menschenverstand sagt: Das hinkt.“
Kommen wir zu den positiven Aussichten für dieses Jahr. Der Sommer 2021 – das Jahr beginnt so richtig. Es wird eine neue Normalität einkehren. Was sind deine realistischen und wünschenswerten Vorstellungen für diesen Sommer, als Gastronom und Unternehmer?
„Ich stelle mir vor, dass wir zumindest wieder etwas Normalität reinbekommen. Dass wir uns vielleicht endlich wieder in die Gesichter schauen können, das ist wichtig, um Emotionen wahrzunehmen. Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft wieder mutig ist und im Hinterkopf behält, dass keiner von uns den “Tod mit sich trägt”. Außerdem wünsche ich mir, dass die Politik erkennt, dass die Gastronomie unverzichtbar ist. Und dass wir als Kultur angesehen werden, die ebenso überlebenswichtig für die Gesellschaft ist.“
Du hattet 2020 das Paradise Now geplant, dazu kam es aufgrund der Pandemie nicht. Kannst du schon berichten, was uns bei der Eröffnung in diesem Sommer erwarten wird?
„Wenn wir im Sommer endlich das Lokal im Hafen öffnen können, dann erwartet einen ein Ort, der Sehnsüchte nach Ferne bedient. Ein Ort, der Wärme und Leichtigkeit ausstrahlt – verpackt in ein gastronomisches Konzept. Es soll nicht überfordern, es soll geschmeidig sein. Soft und sensibel und vor allem entschleunigend. Der Ort, der auf Bedürfnisse eingeht – ein Ruheort, der besänftigend wirkt aber trotzdem Dynamik zulässt. Wir werden mitten in der Stadt eine Oase abbilden – und das im wahrsten Sinne. Denn dort kann man unter Palmen sitzen und den Wind in den Haaren spüren.“
Die aktuellen Fortschritte und erste Einblicke könnt ihr auf Instagram unter @theparadise.now sehen!
Du bist ein absoluter Menschenfreund. Du bewegst dich in deinen Bars nicht als Chef, sondern mischst dich unter deine Gäste, weil du die Menschen kennen lernen möchtest. Abgesehen davon, dass du beruflich betroffen bist: Was hat die Situation mit dir als Mensch gemacht?
„Im ersten Moment war es ein Schock für mich. Aber im Schockmoment habe ich gemerkt, dass ich nicht derjenige sein darf, der durch den Schock handlungsunfähig wird. Ich musste Führungsqualität beweisen und Antworten auf Fragen haben, auf die es noch keine Antworten gab. Ich betrachte die Situation als einen gewaltigen Stresstest, eine Prüfung in meiner Führungsqualität. Ich habe für mich festgestellt, dass das Aussprechen von positiven Gedanken und das Übernehmen von Verantwortung, einen gewaltigen Einfluss hat. Ich hatte keine Zeit, in mich hinein zu horchen und ich wusste, dass es Menschen gibt, denen ich jetzt helfen kann. Ob es Hilfestellung für Kollegen bei Anträgen ist, meine Arbeit im DEHOGA oder der Politik Einblicke in die wirtschaftliche und seelische Situation der Gastronomie zu geben. Für mich war das gerade ein Studienjahr Krisenbewältigung – zwei Semester. Es ist ein Abschluss, den ich will. Ich breche das nicht ab, ich zieh’ das durch. Ich bin der Meinung, dass uns das mit einer Stärke für die Zukunft ausstattet. Wenn wir das bewältigt bekommen, was für äußere Probleme kann es dann beruflich noch geben?“
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