Warum das Thema so polarisiert
Impfgegner.innen erfahren aktuell die bisher höchste mediale Aufmerksamkeit in ihrer Geschichte. Kein Wunder: Während einer weltweiten Pandemie und der Entwicklung von Impfstoffen zur Bekämpfung dieser konnten sie sich nun auch mit allen anderen Gegnern der SchutzMaßnahmen verbünden – und sie sind laut. Dabei sind Impfskeptiker keine neue Erscheinung. Epidemien gibt es seit Bestehen der Menschheit. Die erste große Krankheitswelle war die Pest, die sich bereits v. Chr. verbreitete und in den Jahren 1346 bis 1353 ihren tragischen Höhepunkt mit mehr als 100 Millionen Toten erreichte.
Auf der Suche nach Schuldigen bezichtigten die Menschen dann vor allem Juden, die Brunnen vergiftet hätten. Sie wurden brutal verfolgt. Bis ins 19. Jahrhundert war die Menschheit den Folgen von gefährlichen Viren schutzlos ausgeliefert.
Erst mit der Erfindung der Impfstoffe konnten katastrophale Epidemien vermieden werden – der Beginn einer Impf-Opposition. Reichskanzler Otto von Bismarck führte in Deutschland 1874 eine Impflicht ein, um die Pocken-Epidemie einzudämmen. Es entstanden erste Organisationen gegen diese Maßnahme, und auch Petitionen erreichten den Reichstag. Unter anderem Philosoph Immanuel Kant äußerte sich zunächst kritisch und behauptete, der Impfstoff übertrage tierische Charakterzüge auf den Menschen. Das Christentum wiederum war der Meinung, dass das Impfen die göttliche Ordnung stören würde.
Allerdings lieferte die kleine Impf Opposition keine ausreichenden Argumente, und die Menschen mussten bei Verweigerung einer Impfung mit Geld- oder oder Gefängnisstrafen rechnen. Nach enthusiastischen Impfphasen der Bevölkerungsmehrheit folgte jedoch immer wieder eine Impfmüdigkeit, so dass die Weltgesundheitsorganisation WHO erst im Jahr 1980 – also 100 Jahre nach Ausbruch der Pocken – mitteilen konnte, dass die Krankheit aufgrund einer Durchimpfung ausgerottet wurde. Aber das, immerhin auf der ganzen Welt – eine Erfolgsgeschichte der Impfung!
Während des Nationalsozialismus wurden sozialdarwinistischen Leitideologien, dass die Natur nur den „Volkskörper“ stärke, wenn alte und schwache Menschen sterben, propagiert. Unter den Nazis gab es auch viele Anhänger der Alternativmedizin, die die Impflicht für eine Erfindung von Juden hielten.
Und so scheint sich der Kreis zu schließen, weshalb wir auch heute diese krude Mischung aus Gruppierungen auf den Corona-Demonstrationen finden.
Während viele Impfgegner.innen daran glauben, dass Viren nur schwachen Menschen mit schlechtem Lebensstil schaden können oder Menschen von der Pharmaindustrie absichtlich vergiftet werden, sind Impf Nebenwirkungen auch immer wieder ein Thema.
Der größte Mythos: Impfen verursache Autismus. Dieses Gerücht entstand aufgrund einer gefälschten Studie des britischen Arztes Andrew Wakefield aus dem Jahr 1998. Die falschen Ergebnisse sind mittlerweile auch mit einer solchen Evidenz widerlegt worden, dass Experten weitere Forschung auf diesem Gebiet nicht mehr als lohnenswert erachten. Dabei sollte man klar unterscheiden zwischen Impfskeptiker:innen, deren Sorgen und Bedenken nachvollziehbar sind, da der Laie beim Impfen einen Kontrollverlust gegenüber dem Arzt / der Pharmaindustrie / der Wissenschaft erfährt, und auf der anderen Seite den absoluten Impfgegner.innen, die ihre ablehnende Haltung gegenüber den wissenschaftlichen Erkenntnissen unnachgiebig vertreten.
Impfen ist keine persönliche Entscheidung, sondern eine moralische, um sich und seine Mitmenschen zu schützen. Bei keinem Arzneimittel, bei keiner alltäglichen Tätigkeit wie etwa der Teilnahme am Straßenverkehr werden Wirkung und Risiko so fern von Statistik und Realität gelesen, wie beim Thema Impfen. Die Bundesregierung hat in ihrer Impfgeschichte meistens auf Aufklärung statt Zwang gesetzt –auch in der Corona-Pandemie. Um jedoch genügend Menschen zum Mitmachen zu bewegen, müssen vor allem die besorgten und skeptischen unter ihnen transparent informiert werden.
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„Denn klar ist auch: Ohne Herdenimmunität müssen wir auf unser altes freies Leben weiterhin verzichten.“